Schluss mit Täterschutz!

Das Landgericht hat entschieden: ein Göttinger Professor darf trotz sexualisierter Gewalt gegen Mitarbeiterinnen vorerst seinen Beamtenstatus behalten. Ein Kommentar.

Content Note: Der Text thematisiert sexualisierte Gewalt gegen FLINTA*.

Von Conni Lingua

Mittelfinger ans Patriarchat: Demonstrierende beim feministischen Kampftag 2022 in Göttingen. Foto: randnotiz

Elf Monate Bewährungsstrafe, lautet das Urteil gegen einen Professor an der Uni Göttingen, der über Jahre Doktorandinnen und eine Labormitarbeiterin geschlagen, sexuell belästigt und eingesperrt hat. Am Mittwoch hat das Landesgericht Göttingen befunden: der 58-jährige ist in Fällen von Körperverletzung, Freiheitsberaubung sowie Nötigung von drei Frauen schuldig.

Die Übergriffe liegen teilweise schon acht Jahre zurück, sie erfolgten im Zeitraum zwischen 2014 bis 2017 an der Fakultät für Forstwissenschaften. Ende 2017 hatte die Universität ein Hausverbot erteilt und eine Disziplinarklage erhoben, die wegen des Strafverfahrens aktuell noch pausiert.

Kein Ende des Beamtenverhältnisses

Für ein Jahr und acht Monate Freiheitsstrafe hatte die Staatsanwaltschaft im Prozess plädiert – viel mehr also, als das Gericht jetzt entschied. Brisant ist: die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr hätte automatisch dazu geführt, dass das Beamtenverhältnis des Professors endet. Elf Monate auf Bewährung jedoch bedeuten, dass der Täter seine Professur vorerst behält.

Ein höheres Strafmaß mit beamtenrechtlichen Folgen habe dem Gericht „nicht eingeleuchtet“, wird der vorsitzenden Richter in der HNA zitiert. „Nicht eingeleuchtet“: ob der Schilderungen der Betroffenen wirkt das absurd. Welchen Tatbestand braucht es, um einen Professor seines Amtes zu entheben, wenn Schläge, sexualisierte Übergriffe und Einsperren aus Sicht des Gerichtes nicht Anlass genug sind?

Die Verharmlosung von Gewalt gegen FLINTA*1 muss aufhören. Urteile wie dieses schützen die Täter und stützen patriarchale Strukturen. Ein Professor, der über Jahre seine Machtposition ausgenutzt hat, der bei der Urteilsverkündung den Kopf schüttelte, der darauf pochte, seine Taten seien „immer einvernehmlich gewesen“, verdient weder Mitleid noch Strafmilderung.

Die Gewalt hat System

Gleichzeitig steht fest, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt. Die Uni erhob in den vergangenen Jahren in zwei weiteren Fällen Anklage gegen Lehrende wegen sexualisierter Gewalt. Von einer Dunkelziffer ist auszugehen: oft stehen Betroffene in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Tätern, was das Reden erschwert. Mitwissende schützen die Täter, indem sie schweigen, verharmlosen oder vertuschen.

An der Uni Göttingen sind die aktuell verhandelten Fälle kaum bekannt – das mag auch an den langwierigen Prozessen liegen. Es gibt vereinzelt Menschen und Gruppen, die Betroffene unterstützen und gegen Sexismus eintreten. Eine kollektive Antwort blieb bisher jedoch aus.

„Übergriffe passieren da, wo die Angst vor den Konsequenzen nicht groß genug ist“, hat Margarete Stokowski 2017 mal geschrieben. Konsequente Gerichtsurteile hätten natürlich eine Signalwirkung. Ebenso aber braucht es Kritik und Druck aus der Öffentlichkeit, um die Verhältnisse zu ändern. Die Skandalisierung einzelner Fälle ruft zwar immer wieder in Erinnerung, dass sexualisierte Gewalt gegen FLINTA* passiert. Letztlich aber kann nur kontinuierliche feministische Arbeit dazu beitragen, dass Übergriffe verhindert und Betroffene ernst genommen werden. Daher: es braucht Protest. Es braucht Solidarität mit den Betroffenen. Und es braucht breite feministische Vernetzung an der Uni, wie auch darüber hinaus.

1FLINTA* steht für: Frauen, Lesben, Inter-, Trans*- und Agender-Personen

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