Delegierte der EZLN besuchen Göttingen und Umgebung
Ein Bericht vom Austausch mit den zapatistischen Aktivist*innen in Göttingen.
Gastbeitrag von Rob (BL)

Die Delegation vor dem Buchladen Rote Straße
Ende September: Kaum weniger als 10 Monate ist es her, da die Zapatistas verkündeten, alle 5 Kontinente und dabei zunächst das Europa von „links und unten“ bereisen zu wollen. Monate, in denen sich diesseits des Atlantiks vielerorts Menschen zusammenschlossen, um sich auf diese „Reise für das Leben“ vorzubereiten und die Delegierten, allen Unwägbarkeiten zum Trotz, zu sich einzuladen. Auch Gruppen und Einzelpersonen aus Kassel, Witzenhausen, Göttingen und dem Leinbergland haben eine solche Vernetzung gebildet, sich immer wieder getroffen und im Vorfeld Veranstaltungen organisiert. Übten wir uns in Geduld und Ungeduld, sahen sich die Delegierten zahlreichen Versuchen ausgesetzt, ihre Aus- und Einreise zu verhindern: War es zunächst der mexikanische Staat, der wo es nur ging Steine in den Weg legte, taten die europäischen Regierungen nichts anderes, als die Ausreise endlich möglich schien. Als fünf Delegierte der EZLN Ende September „unsere Region“ besuchten – keine zwei Wochen vorher waren sie in Wien gelandet – waren längst Zweifel daran gewachsen, ob das überhaupt passieren würde.
Es folgt ein unvollständiger und persönlicher Bericht. Ich schreibe aus weißer und cis-männlicher Perspektive und war nicht ständig anwesend, wodurch meine Eindrücke selektiv sind und Leerstellen hinterlassen.
Von Hannover kommend, erreichten die Delegierten am 26. September den seit Mai 2019 besetzen Acker bei Hebenshausen. Hier, wo der Bau eines Logistikgebiets verhindert werden konnte, sollte nach der Begrüßung unter anderem der Widerstand gegen Infrastrukturprojekte im ländlichen Raum diskutiert werden.
Den folgenden Morgen kamen die Compas nach Göttingen. Ankommen, Kennenlernen, Kaffee. Der erste Programmpunkt war danach ein Stadtrundgang, der sich auf einige wenige Orte der südlichen Innenstadt beschränkte, dafür aber Räume zum Austausch schaffen sollte. Im Roten Buchladen, der ein Schaufenster zur Reise gestaltet hatte, äußerten die Delegierten ihr Erstaunen darüber, wie viele Bücher über die Zapatistas hier angeboten werden. Während ein Mitglied des Kollektivs bedauerte, wie stark das Angebot an Drucksachen zurückgegangen sei, erzählten die Zapatistas, dass sie ihre Kommuniqués nur online verbreiten. Zwangsläufig, weil die Möglichkeit fehlt, gedruckte Mitteilungen zu publizieren. Überhaupt würde vieles, was in den zapatistischen Dörfern passiert, niemals verschriftlicht. Waren es zunächst die Delegierten, die zuhörten und vereinzelt Nachfragen stellten, fingen sie im Klimacamp an selbst zu erzählen. Von den allerersten Schritten ihrer Bewegung, den widrigen Bedingungen im Regenwald, unter denen städtische Linke und indigene Landbevölkerung aufeinandertrafen, vertrauensvolle Beziehungen entwickelten und – im Verbogenen – immer mehr wurden. Bis sie 1994 den bewaffneten Aufstand wagten.
Zwar musste die Erzählung an dieser Stelle unterbrochen werden, da auch noch das JuZI vorgestellt und dort im Anschluss gegessen wurde, doch sollte den Compas am Nachmittag die Möglichkeit gegeben werden, ihre Geschichte weiter auszubreiten. Das war nicht der eigentliche Plan und damit Sinnbild für die gesamte Reise, die immer auch im Prozess gestaltet wurde und Überlegungen, die im Vorfeld angestellt wurden, herausgefordert hat.
Der Nachmittag, der ein langer Abend wurde, fand dann in der OM10 statt. Hatten die Delegierten am Vormittag vom klandestinen Aufbau ihrer Organisation berichtet, rückten sie nun die Zeit nach dem Aufstand von 1994 in den Vordergrund: Waffenstillstand und Verhandlungen, die Versprechen hervorbrachten, die letztlich nie eingehalten worden sind. Die Konsequenz bestand im Aufbau eigener, autonomer Strukturen, die nie in Stein gemeißelt waren, sondern stets weiterentwickelt wurden und weiter bestehen, aber immer wieder Angriffen ausgesetzt sind. Die Zapatistas beantworteten Nachfragen der Anwesenden, die häufig auf die konkrete Umsetzung der Autonomie zielten: Schulbildung, den Umgang mit sexistischem Verhalten und die (Um-)Verteilung von Eigentum. Im Anschluss wurden einige konkrete und abstrakte Kämpfe, die in Göttingen geführt wurden vorgestellt. Dabei stand – letztlich im Kontrast zur Erzählung der Delegation – die Vereinzelung von Individuen und Bewegung im Vordergrund. Auch aber solche Momente, in denen diese Vereinzelung gebrochen werden konnte. Dies manifestierte sich unter anderem auch in der Feststellung der vielfältigen politischen Bezüge, die zwischen den anwesenden Personen bestehen und vielleicht auch durch die Vernetzung im Vorfeld und Nachgang der Reise.
Am darauffolgenden Vormittag trafen sich die Delegierten mit BIPoC-Aktivist*innen, um über (post-)migrantische Kämpfe zu sprechen. Danach setzten sie ihre Reise Richtung Leinebergland fort.