Aufnahme statt Abschottung
Über 200 Menschen haben in Göttingen gegen die menschenunwürdige Lage an der polnisch-belarussischen Grenze demonstriert. Sie forderten eine Aufnahme von Schutzsuchenden und haben das Parteibüro der Grünen blockiert.
Von Conni Lingua

Mit einer Kunstaktion haben Demonstrierende am Grünen Zentrum ihre Forderungen unterstrichen. Foto: Links Unten Göttingen
Beginnend mit einer Kundgebung am Gänseliesel hat am letzten Donnerstag, den 9. Dezember, eine Demonstration unter dem Motto „Solidarität mit geflüchteten Menschen statt Zäune und Mauern! Festung Europa zerschlagen“ stattgefunden. Aufgerufen hatte das Bündnis für offene Grenzen, welches 220 Demoteilnehmende zählte.
Im Redebeitrag prangert das Bündnis die Abschottungspolitik der EU an und schildert insbesondere die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze: „Schüsse über die Köpfe der Geflüchteten, zahlreiche verletzte Personen, mehrere Tote und eine katastrophale medizinische Versorgung gehören zum Alltag der Erwachsenen, Jugendlichen und Kinder an der Grenze“. Die Basisdemokratische Linke (BL) vertieft diese Ausführungen in ihrem Redebeitrag und geht auf die von der polnischen Regierung errichteten Sperrzone entlang der Grenze ein. Den Zugang zur drei Kilometer breiten Zone verbietet die polnische Regierung sowohl Journalist*innen als auch Ärzt*innen und Hilfsorganisationen. Weiterhin harren Geflüchtete ohne Schutz bei Kälte im Wald aus. Mindestens 14 Menschen sind laut einem Bericht in der SZ (Stand: 9.12.) bereits erfroren oder verhungert, das Bündnis spricht gar von 17 gesicherten Todesfällen und betont, dass Menschenrechtsorganisationen eine dreistellige Dunkelziffer befürchten.
Sowohl Bündnis als auch BL kritisieren die Entmenschlichung der Geflüchteten in Berichterstattung und Politik: „Sprachlich werden sie unsichtbar gemacht und als Bedrohung inszeniert durch das Wiederholen von Bezeichnungen wie ‚hybride Kriegsführung‘ oder ‚Migration als Waffe‘“, führt das Bündnis aus. Die humanitäre Katastrophe an der polnisch-belarussischen Grenze sei Ausdruck und Konsequenz europäischer Abschottungspolitik. Obgleich sich in Deutschland über 100 Städte und Kommunen als „sicherere Häfen“ zur zusätzlichen Aufnahme Geflüchteter bereiterklärt haben, würden die Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Grenzen überparteilich zum großen Teil befürwortet oder akzeptiert. So hatte beispielsweise der ehemalige Innenminister Seehofer eine Unterstützung Polens beim Ausbau der Grenzanlage gefordert, legt die BL dar.
Künstlerische Blockade des Grünen Zentrums
Im Fokus der fortschreitenden Demonstration steht eine Kritik an der Grenzpolitik der Grünen. Das Bündnis wirft der Partei vor, zur Lage an der polnisch-belarussischen Grenze größtenteils zu schweigen und sie still zu tolerieren. Mit Parolen wie „Um Europa keine Mauer. Bleiberecht für alle und auf Dauer!“ setzen sich die Demonstrierenden in Richtung des Parteibüros in der Wendenstraße in Bewegung, um hier in Form einer Kunstaktion und halbstündigen Blockade ihre Kritik zu äußern. Demonstrierende versperren den Zugang zum Grünen Zentrum mit einem Maschendrahtzaun, an den Zettel mit Forderungen wie „Grenzen öffnen!“ geheftet sind. Weiterhin kippen sie mit Slogans beschriebene Tischtennisbälle, laut Bündnis 500 Stück, vor und in den Büroeingang, kleistern Plakate an die Scheiben und schreiben mit Kreide auf die Straße.
Im Redebeitrag verurteilt das Bündnis, dass die Grünen keine klare Haltung zur Situation an der polnisch-belarussischen Grenze bezogen hätten. Ihr Schweigen stütze die europäische Abschottungspolitik, ebenso wie der von Baerbock und Habeck vorgebrachte Vorschlag einer „Aufklärungskampagne“ in Herkunftsländern der Geflüchteten. Kritik übt das Bündnis darüber hinaus an dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Festhalten an der EU-Grenzschutzagentur Frontex. „Die Grünen setzen sich mit der Befürwortung des Fortbestehens von Frontex letztlich für den Ausbau Europas zu einer ‚gated commmunity‘ ein“, prangert das Bündnis an. Es fordert die Auflösung von Frontex sowie eine Aufklärung der von der Agentur begangenen Rechtsverletzungen.
Darüber hinaus plädieren die Demonstrierenden für die Öffnung der EU-Außengrenzen sowie die Aufnahme schutzsuchender Menschen. Die Demonstration endet mit Musik auf dem Marktplatz. Unterdessen weisen nur noch Kreideslogans vorm Büro der Grünen auf die künstlerische Blockade hin. Zaun, Plakate und Tischtennisbälle sind bereits zwei Stunden später nicht mehr auffindbar.