Die Guerilla bleibt stark: Internationale Delegation in Kurdistan

Die Berge an der iranisch-irakischen Grenze der Autonomen Region Kurdistan sind ein Rückzugsort für die kurdische Bewegung. Dort, wo seit Jahrhunderten Kurd*innen siedeln, führt die türkische Regierung mit Giftgas- und Drohnenangriffen seit dem 23. April einen Krieg gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK, kurdisch für Partiya Karkerên Kurdistanê) und die zivile Bevölkerung. Eine internationale Friedensdelegation der Initiative „Defend Kurdistan Against Turkish Occupation“ hat die Region im Juni besucht, um auf die Völkerrechtsbrüche vor Ort aufmerksam zu machen. Mit dabei war auch der Göttinger Aktivist Robert Ilse.

Von Karla Mirn

Demo in Sulaimaniyya gegen den türkischen Faschismus. Foto: OM10

Systematischer Angriff auf Kurd*innen

„Die Türkei will mit diesen Angriffen ihre Staatsgrenzen ausweiten und das kurdische Volk vernichten“, sagt Ilse, der Teil des Göttinger Rojava-Bündnisses ist. Der türkische Präsident Erdoğan verfolge dort „Großmachtfantasien einer osmanischen Expansion“. Gemeinsam mit rund 80 Delegierten, darunter parlamentarischen Vertreter*innen, Journalist*innen und Aktivist*innen, war Ilse im Juni unter anderem in Erbil und Sulaimaniyya. Auf der Reise konnten die Mitglieder der Delegation ins Gespräch mit Vertreter*innen verschiedener Parteien aus Südkurdistan, darunter PDK (kurdisch für Partiya Demokrata Kurdistanê) und PUK (kurdisch für Yekêtiy Nîştimaniy Kurdistan), sowie der Zivilbevölkerung kommen. Bei der Einreise in die Gebiete der PKK wurde die Delegation aufgehalten, weswegen hier keine Gespräche möglich waren. Die Guerilla der PKK habe sich aber zu Wort gemeldet und sehr begrüßt, dass die Delegation vor Ort war.

„Die Menschen dort haben uns gespiegelt, dass es für sie wichtig war, dass wir aus so vielen verschiedenen Ländern angereist sind“, sagt Ilse. Damit habe die Delegation ein Zeichen dafür gesetzt, dass die internationale Öffentlichkeit nach Kurdistan schauen muss.

Widerstand der Guerilla „massiv“

Die Angriffe auf die Autonome Region in Südkurdistan schließen an die seit 2018 laufenden Kriegshandlungen der Türkei in Rojava an. In Südkurdistan greift die türkische Armee seit April zivile Siedlungsgebiete mit Luftschlägen von Kampfflugzeugen und -hubschraubern aus an. Außerdem setzt die Türkei chemische Kampfstoffe gegen unterirdische Stellungen der Guerilla-Kämpfer*innen der PKK ein.

Doch der Widerstand sei massiv: „Die Guerilla-Kämpfer*innen halten stark dagegen“, sagt Ilse. Die Türkei komme nicht so schnell voran, wie sie es sich vielleicht vorgestellt habe, denn das Gebiet in den Bergen sei „schwer einzunehmen“. Das liege zum Teil am Terrain, aber auch an den Tunnelsystemen der PKK.

Spannungsfeld zwischen PDK und PKK

Eine besondere Situation in der Region ergebe sich außerdem aus dem Verhältnis zwischen PDK und PKK. Ilse berichtet, dass die Friedensdelegation in Erbil zunächst nicht erwünscht war. Die PDK habe das unter anderem durch ein Pressestatement verdeutlicht. „Das Außenministerium hat in dem Statement Bezug auf uns genommen und gesagt, dass wir von der PKK eingeschleuste Provokateur*innen sind“, erzählt Ilse. Die PDK unterstellte der Delegation, die Situation in Südkurdistan „destabilisieren“ zu wollen und den Mitgliedern wurde angeraten „zu der PKK in die Berge zu gehen“.  

Diese Haltung habe sich auch in Einschüchterungen, der Durchsuchung von Hotelzimmern und dem Verhindern einer öffentlichen Pressekonferenz durch Peschmerga-Einheiten der PDK in Erbil widergespiegelt. Nachdem die Friedensdelegation durch die Repressionen Öffentlichkeit gewinnen konnte, hat sich die Taktik der südkurdischen Regierung aber schlagartig verändert: Am Ende ist sogar das Außenministerium zu Gesprächen mit der Delegation bereit gewesen, so Ilse.

Pressekonferenz der Friedensdelegation im Hotel in Erbil. Foto: OM10

Dieses Spannungsfeld zwischen PDK und PKK entstehe daraus, dass die PDK sich als legitime Regierung aller Kurd*innen sieht und die Autonomiebestrebungen der PKK dem im Weg stehen. Allerdings sei die Komplizenschaft der PDK mit der Türkei trotzdem paradox: „Die PDK würde von der Türkei nicht geduldet werden, wenn die PKK nicht mehr dort wäre“, sagt er. Der Konflikt zwischen PDK und PKK spielt den Interessen der Türkei also in die Hände. Daher habe sich die Delegation während der Reise stark gegen einen so genannten innerkurdischen „Geschwisterkrieg“ positioniert.

Deutschland und Europa spielen „aktive Rolle“

Eines der Hauptziele der Delegation war es, auf die Beteiligung externer Regierungen an den Konflikten der Region aufmerksam zu machen. An vielen Stellen, unter anderem in einer Gedenkstätte in der Kleinstadt Halabdscha, in der 1988 ein Giftgasanschlag durch die irakische Zentralregierung stattfand, ist diese Beteiligung sichtbar. Rund 60 Prozent des irakischen Giftgasarsenals wurde damals in Anlagen produziert, die deutsche Firmen geliefert und aufgebaut haben. „Europa und Deutschland sind in Kurdistan überhaupt nicht neutral, sondern spielen eine aktive Rolle“, sagt Ilse. Das habe sich auch durch die Repressionen gegenüber Delegierten bei der Aus- und Anreise am Frankfurter Flughafen bestätigt.

Neben der Aufarbeitung solcher Ereignisse wie in Halabdscha stellt die Streichung der PKK von den Terrorlisten, so Ilse, eine Notwendigkeit dar, um einen Friedensprozess überhaupt anstoßen zu können: „Eine Streichung des Verbots nimmt diesem türkischen Krieg seine vermeintliche Legitimität“, sagt er. Für diese Streichung und den Stopp deutscher Waffenlieferungen an die Türkei muss sich in Deutschland deswegen „aktiv eingesetzt werden“. Das sei auch die Botschaft der Menschen in Kurdistan an die Delegation gewesen.