“Ich werde nicht aufhören, meine Grundrechte einzufordern!”
Leyla und Meryem Lacin kämpfen seit 30 Jahren um ein Bleiberecht in Deutschland. Die dezentrale Kassel sprach mit Leyla Lacin und der Initiative für Leyla und Meryem über die gegenwärtige Situation.
Ein Gastbeitrag von Franka Füller
Dieser Artikel wurde bei dem Kasseler Lokalmagazin „dezentrale pressestelle“ erstveröffentlicht.
Seit Oktober letzten Jahres unterstützt eine Initiative aus Freund*innen und Arbeitskolleg*innen Leyla und Meryem Lacin im Kampf um ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Kassel. Im April starteten Kolleg*innen von Leyla eine Petition, die 4300 Personen unterschrieben haben. Weitere 200 Menschen demonstrierten zusammen mit der Initiative für die gleiche Forderung Anfang April vor dem Kasseler Rathaus. Seitdem hat sich die Situation jedoch nicht verbessert, sondern vielmehr verschlechtert: Vor kurzem ergab eine Akteneinsicht, dass das Regierungspräsidium Kassel ihre Abschiebung in die Türkei vorbereitet.

Kundgebung der Initiative für Leyla und Meryem vor dem Rathaus Kassel. Foto: Initiative für Leyla und Meryem
„Leyla und Meryem bleiben“ – diese Forderung wird seit Oktober letzten Jahres von der Kasseler Initiative öffentlich immer wieder vorgetragen. Ursprünglich bezog sich die diese Forderung auf die offene Zuständigkeitsfrage zwischen den Behörden in Nordhessen und Nordbayern. Obwohl beide Frauen seit fast 10 Jahren in Kassel leben, lehnt die Stadt Kassel die Zuständigkeit für den Fall nach wie vor ab und verweist in dieser Frage auf die Behörden in Bayreuth bzw. Bamberg. An der Zuständigkeitsfrage hängt für Leyla und Meryem Lacin die langfristige Absicherung ihres Lebens in Kassel: Solange die Frage ungeklärt ist, muss jede Übernahme der medizinischen Behandlungskosten für die schwerkranke Meryem mühsam vor Gericht erstritten werden. Darüber hinaus haben beide Frauen nach wie vor keine Ausweispapiere.
Die ganze Zeit über und bis heute ist immernoch nicht klar, ob Leyla und Meryem Lacin in Kassel bleiben können, obwohl sie sich hier ein Leben aufgebaut haben, Arbeit gefunden und Freundschaften geschlossen haben. Dass diese Situation psychisch enorm belastend ist, betonen Leyla Lacin und die Initiative immer wieder: „Es ist ein unhaltbarer und rechtlich nicht vertretbarer Zustand, in dem meine Mutter und ich seit vielen Jahren durch die Gleichgültigkeit der Behörden belassen werden,“ so Leyla Lacin im Gespräch.
Der Zoll erzwingt Kündigung
Bis Ende April 2021 kam Leyla durch ihre Arbeit als Assistenzkraft bei einem ambulanten Pflegedienst aus Kassel für den Unterhalt von sich und ihrer Mutter auf. Diese Arbeit sei ihr wichtig, weil ihr der Kontakt mit Menschen Freude bereite und ihr die Arbeit mit benachteiligten Menschen am Herzen liege, sagt Leyla. Anfang des Jahres jedoch kriminalisierte das Zollamt Gießen nach Hinweis durch die Kasseler Behörden Leyla Lacins Arbeitgeber und setze ihn unter Druck, ihr aufgrund fehlender Arbeitserlaubnis Ende April zu kündigen.
Ein jüngst eingereichter Antrag auf Arbeitserlaubnis bei den Behörden in Nordbayern wurde jedoch trotzdem abgelehnt. Er hätte die Situation von Leyla erheblich verbessern können. „Wir finden es absurd, dass trotz Pflegenotstand eine von ihrem Arbeitgeber und Kolleg*innen geschätzte Pflegekraft gekündigt werden muss, weil die Behörden ihr die Arbeitserlaubnis verweigern. Leylas Kund*innen haben uns gegenüber betont, wie sehr sie Leylas Arbeit schätzen. Trotzdem darf sie diesen Beruf nicht weiter ausführen.“, so Lisa Brandt von der Initiative.
Das Regierungspräsidium Kassel plant Abschiebung
Im Mai 2021 wurde dann deutlich, dass die Situation noch schlimmer ist, als bisher angenommen. Denn eine Akteneinsicht des Anwalts ergab, dass die Zentrale Ausländerbehörde in Kassel, welche dem Regierungspräsidium Kassel unterstellt ist, mittlerweile Passersatzpapiere für beide Frauen organisiert hat. Die fehlenden türkischen Pässe waren bisher immer ein Grund, dass keine Abschiebung durchgeführt werden konnte. Während das türkische Konsulat die Zusage für die Passersatzpapiere für Meryem im Februar 2021 gegeben hat, besteht eine solche Zusage für Leyla schon seit Juli 2020.
“Seitdem ich zurück denken kann, habe ich und meine Familie mit eingeschlossen durch das Handeln deutscher Behörden maßlose Ungleichbehandlung vor dem deutschen Gesetz erlebt.”
– Leyla Lacin
Die Forderung der Initiative, dass Leyla und Meryem bleiben sollen, bezieht sich also nicht mehr nur auf eine drohende Abschiebung nach Nordbayern. Mittlerweile gehe es darum, die drohende Abschiebung in die Türkei zu verhindern. Eine solche Abschiebung wäre in vielfacher Hinsicht eine Katastrophe, wie Lisa Brandt von der Initiative betont. Die beiden Frauen werden aus ihrem Leben hier in Deutschland gerissen, das sie sich über Jahre mühevoll aufgebaut haben.
Meryem Lacin ist schwer krank. Gutachten belegen, dass beide Frauen unter posttraumatische Belastungsstörungen aufgrund von ihrer Fluchterfahrung und bisherigen Erlebnissen mit den Behörden in Deutschland leiden. Allein aus diesen Aspekten stellt eine Abschiesbung eine Gefahr für das Leben der beiden Frauen dar. Darüber hinaus droht ihnen als Kurdinnen in der Türkei die politische Verfolgung und Repression.

Redebeitrag von Leyla Lacin auf der Kundgebung im April. Foto: Initiative für Leyla und Meryem
„Seitdem ich zurückdenken kann, haben ich und meine Familie mit eingeschlossen durch das Handeln deutscher Behörden maßlose Ungleichbehandlung vor dem deutschen Gesetz erlebt. Benachteiligende „Asylgesetze“ haben uns mitunter auch in diese Situation gebracht. Ich werde nicht aufhören, meine grundlegendsten Menschenrechte und die meiner Mitmenschen, einzufordern. Mensch ist Mensch! Sei es in Deutschland, Kurdistan oder sonst wo auf der Welt!,“ schließt Leyla Lacin unser Gespräch ab.
Die Initiative betont, dass es sich bei Leyla und Meryem Lacins‘ Situation nicht um einen Einzelfall handelt. Vielmehr seien in Deutschland immer wieder Menschen abschiebebedroht, die bereits seit Jahrzehnten hier leben. Das zeigt auch ein Blick nach Göttingen: Hier haben derzeit etwa 420 Menschen, die sich schon länger als 6 Jahre in Deutschland aufhalten, lediglich einen Duldungsstatus. Erst vor einem halben Jahr, im Dezember 2020, wurde ein 20-Jähriger nach Serbien abgeschoben, der in Göttingen geboren wurde und hier auch aufwuchs. Ende September versuchten Behörden darüber hinaus, nachts einen seit über 30 Jahren in Göttingen lebenden Rom in den Kosovo abzuschieben. Der spontane Protest der Hausgemeinschaft konnte dies verhindern. Der AK-Asyl und das Roma-Center schrieben darauf: „Schließt euch dem Protest der Betroffenen an. Keine Abschiebungen mehr! Bleiberecht für alle – in Göttingen und überall!“ (Anmerkung der Randnotiz-Redaktion)