Überbau bleibt stabil

Am 16.06.2021 verhandelte das Verwaltungsgericht Hannover über die Rechtmäßigkeit des Einsatzes des V-Manns Gerrit G. in der linken Szene Göttingens.

Von Paul Quappe

Foto: Christian A. Schroeder (CC BY-SA 4.0)

Der V-Mann Gerrit G. wurde zwischen 2016 und 2018 in Gremien studentischer Selbstverwaltung an der Uni Göttingen gewählt und hatte als Mitglied der Basisdemokratischen Linken (BL) an Treffen und Demonstrationen teilgenommen. Im November 2018 wurde er durch die BL geoutet, nachdem durch eine Panne des Verfassungsschutzes im Rahmen eines Auskunftsersuchens ungeschwärzte Akten übermittelt wurden.

Der Angeklagte in dem Verfahren war der niedersächsische Verfassungsschutz. Dessen Beobachtung der BL unter Benutzung eines V-Mannes sei rechtswidrig gewesen, so die Klägerin, welche durch den Rechtsanwalt Sven Adam vertreten wurde. Die Kernpunkte des Verfahrens waren einerseits die Frage, inwiefern die BL verfassungsfeindlich sei und ob andererseits selbst bei rechtmäßigem Einsatz die V-Person mit ihrem Verhalten nicht in Freiheitsrechte eingegriffen hätte. Beispielsweise wurde diskutiert, inwiefern der Eingriff in die studentische Selbstverwaltung der Universität durch die Gremientätigkeit Gerrit G.’s ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit darstelle. Eine zusätzliche Klage betraf eine möglicherweise rechtswidrige Erhebung und Speicherung von persönlichen Daten der Klägerin.

Da der Einsatz von V-Personen ein tief in die Persönlichkeitsrechte eingreifendes Mittel ist, muss laut niedersächsischem Verfassungsschutzgesetz ein konkretes Beobachtungsobjekt genannt werden. Es sei nicht hinreichend konkret, einfach nur „Autonome“ zu beobachten, wie in der Beobachtungsbestimmung des Innenministeriums geschehen, so Adam. Zudem sei fraglich, ob die BL überhaupt den Autonomen zugeordnet werden könne. Die Vertreter*innen des Verfassungsschutzes argumentierten, dass die Autonomen naturgemäß schwer zu bestimmen seien, da es keine Mitgliederlisten gebe. Die BL könne sehr wohl dem (post-)autonomen Spektrum zugeordnet werden, sie unternehme verfassungsfeindliche Bestrebungen. Das sehe man an Marx‘ Basis-Überbau-Modell und außerdem auch an G20.

Die mündliche Verkündung des Beschlusses gestaltete sich wie erwartet: Das Gericht wies die Klagen ab und übernahm in seiner Urteilsbegründung im Wesentlichen die Argumentation des Verfassungsschutzes: Es gebe keinen Zweifel an den verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Autonomen, dies könne man in Verfassungsschutzberichten nachlesen und wisse man aus „vielfachen Erkenntnissen der letzten zig Jahre“. Die BL wird als den Autonomen zugehörig angenommen. Auch hier nahm die Richterin Bezug zur Aussage des anwesenden Verfassungsschützers, der als Argument dafür die mangelnde Distanzierung von den Ausschreitungen beim G20-Gipfel 2017 angeführt hatte.

Die Frage, worin genau Gerrit G.’s Auftrag bestand, ob dabei die Bespitzelung der BL, der Uni-Gremien oder der Göttinger linken Szene in Vordergrund standen, blieb indes auch am Ende des Verfahrens ungeklärt. Die Anträge auf Vernehmung des Ex-V-Manns als Zeuge wurden vom Gericht abgelehnt.

Adam zeigt sich vom Urteil nicht überrascht und blickt optimistisch auf die nächste Instanz. Denn die Klägerin plant, in Berufung zu gehen, vor das niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg. Von Bedeutung ist dieser Rechtsstreit auch deshalb, weil nicht nur die Rechtmäßigkeit dieses V-Mann-Einsatzes geprüft wird. Es wird auch das Agierens des Verfassungsschutzes bei der Beobachtung linker Gruppen allgemein vor Gericht gebracht.

Die Klägerin empfiehlt, von der Möglichkeit des Auskunftsersuchens bei staatlichen Behörden Gebrauch zu machen. Nur so konnte die Beobachtung aufgedeckt und beendet, und nun auch rechtlich angegriffen werden.