#1: Warum wir von Frauen sprechen
Debattenbeitrag der Gruppe Redical M, Juli 2022
1. Warum dieser Text
Liebe Genoss*innen, liebe Mitstreitende, liebe Interessierte,
im Zuge des 8. März und der von der Gruppe Fancy und uns ausgerichteten Demonstration unter
dem Motto „Kapitalistisches Patriarchat zerschlagen!“, wurden über diesen Verteiler verschiedenste
Kritiken an uns herangetragen. Die meiste Kritik hat sich daran aufgehangen, dass wir in unseren
Aufrufen vor allem von Frauen gesprochen haben. Mit dieser Antwort möchten wir unsere
theoretischen Annahmen und Beweggründe darlegen, warum wir von Frauen als analytische
Kategorie sprechen und auf die Kritiken eingehen. Unser Ziel war es darüber hinaus einen Text zu
schreiben, der auch abseits der auf Göttingen bezogenen Debatte genutzt werden kann, weswegen
er bewusst länger geworden ist. Wir verstehen diese Antwort als Debatten- und Diskussionsbeitrag.
Wir wollen niemandem auf die Füße treten oder bewusst verletzen. Im ersten Abschnitt dieses
Textes erläutern wir theoretische Grundannahmen zur Frage, warum wir von Frauen sprechen.
Anschließend folgt eine Kritik des Queerfeminismus. Vor diesem Hintergrund schauen wir dann auf
die konkreten Vorwürfe und Kritiken.
Wir begrüßen die Diskussion, die rund um den 8.März entstanden ist und führen sie mit dieser
Antwort weiter. Im Zuge der Diskussion rund um den 8. März wurde uns des Öfteren
Transfeindlichkeit vorgeworfen, zudem, dass wir exklusiv gegenüber Transmenschen seien – von
Einzelpersonen, aber auch in einem Text der Basisdemokratischen Linken. Wir weisen diesen
Vorwurf bereits hier zurück und empfinden es als unsolidarisch uns vorzuwerfen, wir seien
feindlich oder ausschließend eingestellt gegenüber Trans-Personen.
Viel Spaß nun aber beim Lesen.
2. Warum wir von Frauen sprechen
Der wohl größte Aufhänger der Debatte war die Frage „warum so binär?“, oder allgemeiner
gesprochen: Warum wir uns in Bezug auf Geschlecht primär auf die Begriffe Mann und Frau
stützen. Ziel dieses Abschnittes ist es also, unser Verständnis von Geschlecht und der Kategorie
Frau in diesem Verständnis zu umreißen, um Unklarheiten zu vermeiden, die sich in der aktuellen
Debatte aufgetan haben. Um dieses Ziel zu erreichen, kommen wir jedoch nicht drumherum auch
darauf einzugehen, was alles als „natürlich“ in der aktuellen Gesellschaft erscheint und was das
eigentlich mit Kapitalismus und Geschlecht zu tun hat.
2.1 Was heißt hier natürlich?!
Die erste Antwort auf diese Frage, die einem aus der bürgerlichen Gesellschaft, entgegenspringt, ist
die, dass Geschlecht natürlich bedingt oder anders formuliert: Eine rein biologische Kategorie sei.
Was in der Gesellschaft jedoch als natürlich scheint, ist es in vielen Fällen nicht. Beispiele dafür
gibt es zur Genüge, auch ohne dass ein Blick auf das Patriarchat geworfen werden muss: So zum Beispiel der Glaube, dass der Kapitalismus der Natur des Menschen entspräche. Trotz eindeutiger
wissenschaftlicher Widerlegung, hält sich dieser Glaube in großen Teilen der Gesellschaft
hartnäckig.
Scheinbar ist es also gerade eine Eigenschaft unserer Gesellschaft, dass gesellschaftliche Aspekte
naturalisiert werden, also soziale Phänome als natürliche verklärt werden. Dieser Mechanismus ist
auch kein zufälliger, sondern hat in unserer Gesellschaft eine materielle Grundlage: Es ist der
Kapitalismus, der soziale Prozesse natürlich erscheinen lässt. Diese Eigenschaft des Kapitalismus
wollen wir kurz mit einem Beispiel darstellen: Der Preis einer Ware ergibt sich erst in einem
allumfassenden Tauschprozess. Denn würden wir uns vorstellen, dass unsere Gesellschaft nicht auf
Tausch basieren würde, dann hätten die Gegenstände auch keine Preise. Diese bekommen sie erst,
eben weil sie mit allen anderen Waren vergleichbar sein müssen und Produkte von menschlicher
Arbeit sind. Das heißt der konkrete Preis kann theoretisch nur komplett verstanden werden, wenn
der Tausch aller Waren miteinander, die Art und Weise, wie die Gesellschaft arbeitet und wie dieses
Produkt hergestellt wurde und viele andere Aspekte, die sich scheinbar hinter dem Rücken eines
einzelnen Menschen abspielen, betrachtet werden. Eben weil diese ganzen Aspekte nur
gesamtgesellschaftlich betrachtet werden können, wirkt es für den Einzelnen so, als würden diese
gesellschaftlichen Prozesse sich dem Handlungsspielraum der Menschen entziehen. Es erscheint
also den einzelnen Konsument:innen als habe die Ware diesen Preis per Natur, weil das auf den
ersten Blick als die sinnvollste Erklärung scheint. Die Tatsache, dass diesen Objekten nur ein Preis
zukommt, aufgrund der aktuellen Form der Wirtschaftsweise, wird nicht erkannt.
Dieses Phänomen zieht sich nicht nur durch die Wirtschaft, sondern erstreckt sich viel weiter: alle
bürgerlichen Kategorien erscheinen so als scheinbar natürliche Eigenschaften der jeweiligen Dinge.
Damit entsteht das, was eine „zweite Natur“ genannt wird: Im Gegensatz zur ersten Natur (die
ebenfalls bereits gesellschaftlich vermittelt ist) handelt es sich hierbei um gesellschaftlich oder
ökonomisch hergestellte Kategorien, jedoch erscheinen sie als natürliche. Auch Geschlecht wird
aufgrund solcher Mechanismen zu einer überhistorischen, scheinbar rein biologischen Kategorie.
2.2 Geschlecht: Zwischen Natur und Gesellschaft
Nach diesem kurzen Exkurs zur Ökonomie, wollen wir jetzt einen Blick auf die Definition von
Geschlecht werfen: Die kapitalistisch-patriarchale Ordnung basiert darauf, dass bestimmte
Vorstellungen von Geschlecht existieren. So ist es für den Kapitalismus notwendig, dass es
Menschen gibt, die unbezahlt reproduktive Arbeiten übernehmen, genauso wie das Patriarchat
darauf aufbaut, dass Männlichkeit die Weiblichkeit abwertet. Diese Anforderungen ergeben sich aus
der Art und Weise wie die aktuelle Gesellschaft ihre Institutionen und Wirtschaft organisiert. Sie
erscheinen jedoch aufgrund des oben erklärten Mechanismus als natürliche Eigenschaften der
Menschen, die sich nicht ändern könnten. Das beste Beispiel für solche Vorstellungen sind
Aussagen wie „Boys will be Boys“ oder ähnlicher Schwachsinn.
Dennoch gibt es offensichtlich einen Unterschied der geschlechtlichen Kategorien zu ökonomischen
Kategorien: Die bürgerlichen Definitionen von Geschlecht beziehen sich immer auch auf tatsächlich
körperliche Eigenschaften, wie zum Beispiel die Gebärfähigkeit. Auch eine materialistisch-
feministische Begriffsfindung muss diese körperlichen Aspekte berücksichtigen, eben weil Staat,
Kapital und Patriarchat die Körper der Frauen zum Beispiel aufgrund ihrer Gebärfähigkeit
unterwerfen. Fortpflanzungsorgane werden aber wieder herum erst durch die Gesellschaft zu einem
relevanten Kriterium menschlicher Körper gemacht.
Unsere Definition von Geschlecht bewegt sich in diesem Spannungsfeld: Einerseits bezieht sich
Geschlecht auf die erste Natur, ohne in dieser komplett aufzugehen. Andererseits erscheint sie nur
als natürlich aufgrund gesellschaftlicher Prozesse und erfährt durch diese ihre gesellschaftliche
Wirkmächtigkeit. Oder anders gesagt: Wir beziehen uns somit weder auf ein biologistisches
Verständnis von Geschlecht, noch auf eines, welches von Dekonstruktivist:innen benutzt wird.
2.3 Wieso wird die menschliche Natur geformt?
Um einen sinnvollen Begriff von Geschlecht zu entwickeln, ist es notwendig, sich mit der Funktion
von Natur und mit dem Umgang mit der Natur im Kapitalismus zuzuwenden. Jede Zivilisation
zeichnet sich dadurch aus, in einem bestimmten Verhältnis zur Natur zu stehen, konkreter: diese
zum Zweck der eigenen Ziele zu unterwerfen und zu benutzen. Gemeint ist damit das Abholzen von
Bäumen, aber auch noch einfachere Dinge, wie zum Beispiel das Errichten von Werkzeugen. Zur
Natur gehört jedoch nicht nur die den Menschen äußerliche Natur, wie zum Beispiel die Wälder
oder Flüsse, sondern auch die menschliche, körperliche Natur. Mit der voranschreitenden
Naturbeherrschung steigen auch die Möglichkeiten diese Natur des Menschen zu unterwerfen und
zu kontrollieren. Auf diese Weise werden spezifische Gesellschaftscharaktere geschaffen,
Bedürfnisstrukturen und Gefühlsweisen geformt. An sich wäre das kein großes Problem, wenn die
Gesellschaft so konstruiert wäre, dass diese Naturunterwerfung immer zu Gunsten der Menschen
und innerhalb der planetarischen Grenzen organisiert werden würde. In unserer Gesellschaft ist dies
jedoch nicht der Fall: Die Naturunterwerfung wird zu Gunsten des Kapitals organisiert.
Zusammengefasst ist das der Grund, warum diese Formung bestimmter patriarchaler Charaktere
nicht einfach ein sprachliches oder kulturelles Problem ist, sondern in der Struktur unserer
Gesellschaft verankert ist. Offen bleibt jetzt jedoch nun noch die Frage, wie diese
Naturunterwerfung konkret aussieht und was das ganze mit Patriarchat zu tun hat.
2.4 Back again: Exkurs in die Kapitalismuskritik die Zweite
Die direkte Auseinandersetzung mit der Natur wird über die Form der Arbeit und Produktion
gesteuert. Deswegen lohnt es sich, einen Blick auf die Arbeitsweise zu werfen: gearbeitet wird im
Kapitalismus nicht, um Güter für den Gebrauch zu produzieren, also es wird nicht das produziert,
was die Menschen gerade benötigen. Vielmehr wird das produziert, was sich am besten gegen
andere Waren eintauschen lässt und ganz am Ende des Tausches steht dann eventuell der Gebrauch.
Oberstes Kriterium ist also, dass das produziert werden muss, was am ehesten umgetauscht werden
kann. Damit alle Waren miteinander verglichen werden können, zählt auch nicht die konkrete
verrichtete Arbeit, sondern die Arbeit, die in der Gesellschaft im Durchschnitt für diese Ware
aufgebracht werden muss. Es ist also die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit, die den Wert
der Ware bestimmt. Das lässt sich am einfachsten folgendermaßen zeigen: Nur weil eine Person
lange für die Produktion braucht, hat das Endprodukt nicht mehr Wert. Wichtig ist es immer,
mindestens genauso schnell wie oder schneller als der gesellschaftliche Durchschnitt zu sein. Die
Arbeit hat dabei zwei Seiten: Einerseits schafft sie einen Gebrauchsgegenstand – sagen wir einen
Stuhl. Geschaffen wird diese Arbeit von einem Tischler. Diese konkrete Form der Arbeit heißt
konkrete Arbeit. Gleichzeitig hat dieser Stuhl einen Wert, welcher sich vergleichen lässt mit dem
von anderen Waren. Damit etwas geschaffen wird (in diesem Fall der Wert), was vergleichbar ist
mit allem anderen, muss von den jeweils konkreten Einzelheiten abstrahiert werden. Damit also die
Produktion des Stuhls verglichen werden kann mit der Produktion eines T-Shirts zum Beispiel,
muss von den jeweils unterschiedlichen konkreten Arbeiten abstrahiert werden. Übrig bleibt die
sogenannte abstrakte Arbeit: eben diese Form der Arbeit, welche den Wert schafft. Jede Arbeit im
Kapitalismus, die für den Tausch produziert ist sowohl konkrete Arbeit, als auch abstrakte Arbeit.
Die konkrete Arbeit schafft den Gebrauchsgegenstand, die abstrakte Arbeit den Wert. Letztere ist
somit frei von jeglicher konkreten Tätigkeit.
2.5 Wieso das Kapital männliche und weibliche Subjekte schafft
Im Kapitalismus profitbringend ist also die abstrakte Arbeit. Damit gehen spezifische
Anforderungen an die Individuen einher. Beugen sich die Individuen nicht diesen Anforderungen,
gehen sie im allgemeinen Konkurrenzkampf unter. Besonders erfolgreich sind also diejenigen
Individuen, die selber am besten zu den Anforderungen passen. Konkret bedeutet dies, ein
möglichst effizientes, allseitsbereites und rationales Subjekt zu sein. Gleichzeitig braucht diese
Gesellschaft aber aus mehreren Gründen auch ein weiteres Subjekt, das geschaffen werden muss:
Erstens muss jeder Mensch, um solchen Anforderungen gerecht werden zu können, zwangsläufig
eigene Bedürfnisse und Emotionen abspalten. In diesem Fall sind das zum Beispiel Eigenschaften
wie Emotionalität und Verletzbarkeit. Diese Eigenschaften verschwinden nicht einfach, nur weil die
Ökonomie das gerne hätte, sondern müssen aufgefangen werden. Dafür sorgt die Gesellschaft,
indem sie eben jenes zweites Subjekt schafft. Darüber hinaus sorgt die Abspaltung dieser
Eigenschaften im Individuellen auch dafür, dass die jeweiligen Individuen die abgespaltenen
Eigenschaften auf andere projizieren und somit ebenfalls dieses zweite Subjekt „schaffen“.
Zweitens braucht es auch aus ökonomischen Gründen Menschen, die sich um die reproduktiven
Tätigkeiten (Kinder erziehen, Essen kochen, Wäsche waschen etc.) kümmern. Diese Tätigkeiten
können nicht nach den Anforderungen der Effizienz organisiert werden und müssen deswegen
außerhalb des unentgeltlich erledigt werden, weil das Kapital es sich nicht leisten kann.
Weil schon vor der Einführung des Kapitalismus die Gesellschaft patriarchal organisiert war, ist
auch der Kapitalismus patriarchal strukturiert und diese Subjekte werden anhand der Geschlechter
männlich und weiblich verteilt – Männlichkeit wird als effizient und rational, Weiblichkeit als
emotional und fürsorglich definiert. Das Männliche wird somit in dem Zusammenhang von
Patriarchat und Ökonomie aufgewertet, während das Weibliche abgewertet wird. Nicht nur das: Auf
individueller Ebene spalten die so konstruierten männlichen Subjekte die Eigenschaften ab, die
nicht in dieses zweiteilige Schema passen. Die so geschaffenen Subjekte sind allerdings sehr fragil
und in imaginierten oder tatsächlichen Krisensituationen resultiert diese Abspaltung in Gewalt, die
sich gegen diejenigen richtet, die als weiblich identifiziert werden – Frauen und Queers. Gewalt
richtet sich also nicht bloß gegen Frauen, auch Queerfeindlichkeit ist ein Resultat von männlicher
Gewalt gegen Weiblichkeit. Gemeint ist damit nicht, dass wir von außen sagen würden, dass queere
Personen „die Weiblichkeit“ repräsentieren würden, sondern dass in der patriarchalen Logik die
Abwertung von allem Nicht-Männlichem darauf basiert, dass Weiblichkeit abgewertet wird.
2.6 Queere Identitäten und die Möglichkeit des Widerspruchs
Die Analyse bezieht sich darauf, welche Subjekte diese Gesellschaft systematisch aufgrund ihrer
materiellen Struktur hervorbringt und wie sie diese ordnet. Diese Subjekte bringt die Gesellschaft
hervor, indem sie alle Menschen ihr Leben über mit Anforderungen konfrontiert. Je nachdem, ob
die Gesellschaft die Person männlich oder weiblich definiert,
folgen wahlweise Sanktionen oder Aufwertungen für unterschiedliche Handlungen. Diese
Anforderungen sind am deutlichsten in Form von kulturellen und moralischen Anforderungen, auch
wenn ihre Ursache viel tiefer liegt – in der Ökonomie und in den Institutionen.
Dennoch ist das ganze nur die halbe Wahrheit, denn was die angesprochenen Menschen aus diesen
Anforderungen machen, also ob sie sich dieser Zweiteilung unterwerfen, ist nicht vorherbestimmt
durch die Analyse: Für uns ist klar, dass queere Identitäten nicht deswegen ihre Bedeutung
verlieren, nur weil der Kapitalismus sich in die zwei Sphären Männlich und Weiblich trennt.
Darüber hinaus weisen wir den uns von der Basisdemokratischen Linken implizit gemachten
Vorwurf der Transfeindlichkeit aus zwei Gründen zurück: Erstens, weil auf analytischer Ebene wir
den Begriff der Frau nicht mit der biologischen Definition gleichsetzen, sondern als
gesellschaftliche Kategorie begreifen. Die oben erläuterte Analyse geht nicht davon aus, dass alle
Subjekte, die von Staat und Gesellschaft bei der Geburt in einer der beiden Zwangskategorien
gesteckt wurden, diese geschlechtliche Identität annehmen. Sie behauptet lediglich, dass die jetzige
Gesellschaft strukturell diese beiden vergeschlechtlichen Subjekte erschafft und systematisch
reproduziert. Wie die Individuen mit diesen „Anrufungen“ umgehen, ist nicht vorherbestimmt.
Zweitens, zur Klärung unseres Begriffes, sind Trans-Frauen Frauen und für uns in diesem Begriff
dementsprechend mit gemeint.
2.7 Back to topic: Warum wir von Frauen sprechen
Nach dieser langen Vorrede wollen wir nun zurück zu der eigentlichen Frage kommen, warum wir
in unserem Aufruf explizit von Frauen reden. Wie unsere Analyse oben schon angedeutet hat, liegt
die Ursache von patriarchaler Gewalt in der Abwertung von Weiblichkeit. Wir nutzen den Begriff
„Frau“ deswegen auf analytischer Ebene, um diese Ursache in der hierarchisch strukturierten
Zweigeschlechtlichkeit zu benennen und diese männliche Gewalt als Gewalt gegen Weiblichkeit zu
benennen. Trotz alledem erzeugt das Patriarchat auch systematisch Gewalt gegen queere Personen,
die wir nicht leugnen, sondern die benannt werden muss. Wir erachten deswegen den Vorschlag, im
Kontext patriarchaler Gewalt von Gewalt gegen Frauen und Queers zu sprechen, als am
sinnvollsten.
In Bezug auf die Organisation der Reproduktion halten wir es weiterhin für notwendig, den Begriff
Frau zu benutzen. Gemeint ist damit keine Identität, die den Menschen innewohnen würde und eine
homogene Masse in der Gesellschaft darstellen würde, sondern eine Subjektivität, die durch die
Form der gesellschaftlichen Reproduktion wirksam wird. Die Gesellschaft überträgt die
reproduktiven Aufgaben einem Subjekt Frau, welches sie selber konstruiert. Es gilt also, dieses
Subjekt anhand der dauerhaften Unterdrückung zu politisieren, unter anderem aus dem Grund, dass
eine sprachliche Dekonstruktion nicht möglich ist. Damit ist auch schon das letzte, aber wohl
wichtigste Argument, angeschnitten: Die bürgerliche Gesellschaft schafft hauptsächlich männliche
und weibliche Subjekte. Es ist in keinster Weise das Ziel diese Trennung zu verfestigen, wohl
müssen wir aber erkennen, dass diese gerade die gesellschaftliche Realität darstellt und die
jeweiligen Menschen anhand ihrer konkreten Lebenserfahrung abholen. Deswegen halten wir es für
notwendig den Begriff Frau nicht in einem Sammelbegriff untergehen zu lassen, sondern als
gesellschaftliche Realität stehen zu lassen.
3. Kritik des Queerfeminismus
In diesem Abschnitt werfen wir einen ideologiekritischen Blick auf den Queerfeminismus. Dabei ist
klar, dass es streng genommen den einen Queerfeminismus nicht gibt und eine umfassende Kritik
zwischen Queer Theory und queerfeministischem Aktivismus in seinen verschiedenen
Ausprägungen unterscheiden muss. Wir denken dennoch, dass wir im Folgenden wesentliche
queerfeministische Grundannahmen berücksichtigt haben.
3.1 Über neoliberale Politik
Zunächst geht es hier um die Frage, wie der Neoliberalismus bestimmte Politikstile hervorbringt.
Der unter kapitalistischen Bedingungen generell bestehende Verwertungszwang stellt wachsende
Ansprüche an die Subjekte. Das Besondere am Neoliberalismus ist es nun, dass diese Ansprüche
jede*r einzeln erfährt – kollektiven Widerspruch und gemeinsame Vernetzung gibt es in der
neoliberalen Ideologie nicht. Der Druck, sich selber vermarkten zu müssen, steigert sich
dementsprechend enorm.
Um sich dennoch einen Weg zu bahnen, erschließen sich die Subjekte die Welt von ihrem einzelnen
Standpunkt aus und verorten sich individuell in dem gesellschaftlichen Ganzen. Vor diesem
Hintergrund verliert sich der Bezug auf die Gesellschaft als Ganzes. Stattdessen wird die objektive
Wirklichkeit nicht mehr in ihrer Gesamtheit betrachtet, sondern zerfällt in kleine, partikulare
Erzählungen. Diese Vereinzelung hat auch Folgen für die Art der Politik, die sich den Individuen
am ehesten anbietet: Politische Forderungen werden aus den vereinzelten Standpunkten formuliert,
anstatt ausgehend von Gemeinsamkeiten und entdeckten objektiven Strukturen die eigene Praxis
abzuleiten.
3.2 Was hat nun der Neoliberalismus mit dem Queerfeminismus zu tun?
Die queerfeministische Identitätspolitik knüpft an genau diese Vereinzelung und
Subjektorientierung an und zielt hierbei auf keine kollektive Praxis, die die materielle Grundlage
der patriarchal-kapitalistisch organisierten Gesellschaft aufheben möchte. An den eigenen
subjektiven Erfahrungen anzuknüpfen ist an sich nicht falsch, sondern vor allem notwendig, als
agitatorisches Mittel, jedoch müssen dann die Gemeinsamkeiten und verbindende Elemente
hergestellt werden, um gegen das kapitalistische Patriarchat vorzugehen.
Der Queerfeminismus hingegen geht nur von einem Partikularismus aus. Das heißt, dass er die
einzelnen Individuen und ihre Identitäten als isoliert voneinander betrachtet und den eigentlichen
Fokus auf das Individuelle und die Emanzipation des Einzelnen hat. Das Problembewusstsein
begründet der Queerfeminismus dann unter Begzunahme auf subjektive Diskriminierungserfahrung.
Auch diese Erfahrungen werden jedoch isoliert voneinander betrachtet, was sich unter anderem
darin zeigt, dass die Analyse nicht über diese individuellen Erfahrungen hinausgeht. Das Ziel
feministischer Theorie sollte es jedoch sein, diese individuellen Erfahrungen in ein Verhältnis zu
setzen zu der gesamten Gesellschaft und ihren Institutionen und Gemeinsamkeiten politisch
auszuarbeiten.
Zudem nimmt der Queerfeminismus dabei, wie der liberale Feminismus, Herrschaft vor allem
kulturalistisch wahr. Als Ursprung der Gewalt werden also bestimmte Strukturen in der Kultur oder
der Sprache benannt. Das Ziel des Queerfeminimus besteht folgerichtig darin, die bestehende
Gesellschaft kulturell zu öffnen, um queeren Lebensweisen Akzeptanz und Würde zu verschaffen.
Aus einer solchen Problembestimmung und einer fehlenden kollektiven Praxis, die die materielle
Basis versucht anzugreifen, bleibt lediglich eine Praxis, die die bestehende Gesellschaft
reformistisch verändert. Damit verbleibt der sich rebellisch gebende Queerfeminismus und dessen
Forderungen nach Sichtbarkeit im Status einer konformistischen Rebellion, die Herrschaft diverser
und erträglicher machen will, sie jedoch gleichzeitig bestätigt.
Das soll nicht heißen, dass nicht für Freiheitsmöglichkeiten und Errungenschaften von und für
Frauen und Queers im Hier und Jetzt zu kämpfen sei. Eine revolutionäre feministische Realpolitik
kann und sollte genau dies tun. Diese Praxis und realpolitischen Forderungen müssen aber immer
mit einer kollektiven Praxis und dem revolutionären Ziel der befreiten Gesellschaft vermittelt sein,
sonst bleibt die Rebellion ein Schein.
3.3 Warum Identitäten keine Befreiung bringen
Nach dieser allgemeinen Kritik werfen wir nun einen genaueren Blick auf den queerfeministischen
Bezug auf Identitäten. Denn auch hier zeigt sich, dass der Queerfeminismus mit den
gesellschaftlichen Verhältnissen weitesgehend zusammen passt. Diese liegt vor allem darin, dass
Identitäten affirmiert, also bekräftigt, werden. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt des
queerfeministischen Aktivismus. Die von Judith Buttler noch vertretene dekonstruktivistische
Strategie gerät offensichtlich in der Praxis in ein Dilemma, da Identität gerade für marginalisierte
Gruppen eine Sicherheit und eine Position markieren, von der aus Forderungen formuliert werden.
Identitäten, die als gegenhegemonial wahrgenommen werden, werden nicht mehr kritisch befragt,
sondern vielmehr unter Schutz gestellt. Auf diese Weise wird das identitätskritische Moment,
welches zur Überwindung dieser führen soll, kassiert. Wo es früher darum ging, letztendlich
gesamtgesellschaftlich Geschlechter aufzulösen, werden jetzt die Identitäten bekräftigt.
Doch was kritisieren wir an dieser Affirmation von Identitäten? Es ist notwendig, Identität von
Subjekt zu unterscheiden. Identität bezeichnet keine Eigenschaft einer Person oder Gruppe, sondern
ist zu einem ein Selbstverständnis, aber auch eine Fremdzuschreibung. Es handelt sich bei Identität
um eine Anforderung der kapitalistischen Gesellschaft: Mit einer durch Lohnarbeit geprägten
Gesellschaft geht die Notwendigkeit einher, dass sich das Individuum für sich privat reproduziert.
Dadurch, dass es sich einem in unpersönlichen, abstraktem Abhängigkeitsverhältnis befindet (und
nicht wie früher in persönlichem oder traditionellem Abhängigkeitsverhältnis) muss es sich dabei
für sich selbst zu dieser Gesellschaft ins Verhältnis setzen. Nur so kann es sich im Warentausch als
mündiges Vertragssubjekt bewähren. Im Neoliberalismus verschärft sich diese grundsätzliche
Anforderung an das Subjekt: Die Individuen sind unter ständigem Verwertungszwang zu
Konkurrenz und Innovation getrimmt und trimmen sich selbst dazu. Die queerfeministische
Grundannahme, dass sich das gesellschaftliche Herrschaftsverhältnis in der Anforderung nach
möglichst kohärenten Identitäten ausdrückt, deren Unterwanderung ein subversiver Akt sei, ist vor
diesem Hintergrund falsch. Vielmehr entspricht es gerade der spätkapitalistischen Ideologie und
Subjektivierung, plurale, multiple und fluide Identitäten zu „finden“.
Das zum Teil gute Gefühl, welches mit der Gewissheit kommt, endlich die passende Identität
gefunden zu haben, ist völlig legitim und fühlt sich deshalb so gut an, weil es Resultat der
Anpassung der Subjekte an die Anforderungen der Funktionslogiken dieser Gesellschaft ist. Dies
bedeutet nicht, dass es legitime feministische Praxis wäre, Individuen ihre Selbstdefinition
abzusprechen. Die Kategorie Identität muss jedoch weiterhin kritisiert werden. Dies trifft auch auf
die Geschlechtsidentität zu: Aus materialistischer Perspektive ist Geschlecht eben nicht nur
Geschlechtsidentität, und damit nicht nur eine rein innerpsychische Angelegenheit. Vielmehr ist
Geschlecht eine Kategorie, die an soziales Geschlecht und teilweise auch an Körperlichkeit
gebunden ist, wie wir weiter oben versucht haben, deutlich zu machen.
3.4 Fernab vom Neoliberalismus: Kritik der Identität die Zweite
In dem obigen Abschnitt sind wir kurz darauf eingegangen, inwiefern das Finden einer eigenen
Identität als Bedürfnis auch dem Neoliberalismus entspringt oder wichtiger: Kein Widerspruch zu
dem Neoliberalismus ist. Unabhängig von dem Neoliberalismus, in welchem wir leben, sehen wir
jedoch noch ein weiteres Problem darin, das Aufgehen in Identitäten als emanzipatorisches Ziel zu
betrachten, auf welches wir hier nochmal eingehen wollen.
Identitäten schaffen Selbstbewusstsein, insofern als dass die eigenen Eigenschaften benannt und
eingeordnet werden können und das eigene Selbst im Verhältnis zu anderen gesetzt werden kann.
Die große Menge an Eigenschaften, Merkmalen und ähnlichem wird in einem Begriff
zusammengefasst, den wir selber wieder mit Eigenschaften füllen können und auf den wir uns
selbstbewusst beziehen können. Bei all diesen Vorteilen kommt jedoch immer ein entscheidender
Nachteil mit, der – gerade in der aktuellen Debatte – häufig nicht betrachtet wird: Wir gehen als
Menschen niemals per Geburt in einer Identität auf, sondern jede Identität bringt auch zwangsläufig
eine Abspaltung eben jener Eigenschaften mit sich, die nicht in diese Identität passen. Das Ziel
jeder feministischen Politik ist es jedoch eine Gesellschaft zu erreichen, die eben diese Abspaltung
nicht mehr in den Subjekten benötigt und gewaltvoll hervorbringt. Eine solche Gesellschaft
erreichen wir folgerichtig nicht, indem wir das Aufgehen in Identitäten als politisches Hauptziel
betrachten. Es braucht einen Umgang mit Identitäten, der sich des Widerspruchs bewusst ist, dass
politische Identitäten bei sozialen Kämpfen notwendig sind, obwohl diese an sich nicht befreiend
sind.
Warum wir diesen Punkt noch einmal hervorheben, liegt daran, dass der aktuell hegemoniale
Diskurs Identitäten eben so begreift, als wären die Subjekte mit diesen Identitäten identisch. Darin
könnte auch ein Grund liegen, weshalb unser Aufruf auf solchen Unmut gestoßen ist: Wenn wir von
Frau als Identität sprechen, meinen wir auf keinen Fall, dass es Menschen gäbe, die den
Anforderungen und Eigenschaften, die mit dieser Identität kommen, entsprächen würden. Im
Gegenteil: Es gibt keine Menschen, die nur weiblich konnotierte Eigenschaften besitzen, Frauen
wird lediglich von der Gesellschaft gewaltvoll beigebracht, diese Eigenschaften zu zeigen und
andere abzuspalten. Der aktuelle Diskurs, der für alle Menschen eine passende Identität finden
möchte, suggeriert in seiner Definition der Kategorie Frau, dass diese per Geburt oder per
Sozialisation lediglich weibliche Eigenschaften hätten, was wir für falsch halten.
3.5 Über das falsche Verständnis von Gesellschaft im Queerfeminismus
Es zeigt sich also, dass dem Queerfeminismus ein ungenügendes Verständnis von Herrschaft
zugrunde liegt. Innerhalb der queerfeministischen Bewegung bestimmt sich das Individuum nicht
mehr als Teil eines Kollektivs, sondern leitet sein Interesse und Forderungen aus dem Selbstbild ab.
Durch die Herstellung von Identität durch ein subjektives und zwischenmenschliches Verhältnis und
nicht durch die objektive/materielle Struktur, kann der Queerfeminismus nicht aus den materiellen
Verhältnissen entspringenden Interessensgegensätzen denken. Stattdessen werden die anderen
Identitäten als Erfüllunsgehilfen moralisch in die Verantwortung gezogen. Hier zeigen sich
einerseits Momente eines bürgerlichen Gesellschaftsverständnisses. Zudem bleibt in den Analysen
des Queerfeminismus zu Identität daher unklar, warum vergeschlechtliche Herrschaftsbeziehungen
entstehen, aus welcher Motivation sie sich reproduzieren und welche Dynamik sie antreiben und
warum sich die Binarität so hartnäckig hält.
3.6 Was hat diese Kritik mit der Kategorie Frau zu tun?
Der Queerfeminismus hat weiterhin keinen Begriff der gesellschaftlichen Totalität. Objektive
Gegebenheiten/Begriffe, die sich aus der Struktur der Herrschaftsverhältnisse ergeben, werden
lediglich in subjektiven Erfahrungen zerfasert. Die Identitätskategorie Frau erschließt sich jedoch
erst im Lichte einer gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung, in welcher Frauen die überwiegende
Reproduktionsarbeit übernehmen müssen und das möglichst marktförmig gedachte Männliche ein
anderes braucht, um sein emotionales Begehren abzuspalten. Die Zwangskategorisierung der als
weiblich identifizierten Menschen, ist also immer eine herrschaftsförmige Sozialisation der
gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung.
Zwar wird auch Reproduktionsarbeit auf Queere Identitäten abgewälzt oder eben nicht abgewälzt,
das passiert aber nicht, weil sie Queer sind, sondern da sie in dieser Gesellschaft weiterhin in den
Kategorien weiblich oder männlich gelesen werden. Zum Beispiel wird einer Non-Binary Person,
die weiterhin von der Mehrheitsgesellschaft als männlich gelesen wird, nicht die
Reproduktionsarbeit aufgedrückt.
3.7 Fazit
Ein wesentlicher Bestandteil queerfeministischer Politik liegt in der Durchsetzung und
Wahrnehmung von Partikularinteressen bzw. fragmentierten Sichtweisen im Sinne von Diversität
und Toleranz, beispielsweise in der Sprache. Es ist durchaus richtig, dass Menschen ihre
Lebensumwelt subjektiv deuten und sich von dort aus erschließen. Doch bewegen sich die
Menschen nicht nur in ihrer subjektiven Lebenswelt, sondern stehen immer auch in
Wechselwirkung mit der objektiven Wirklichkeit. Durch diese erfahren sie beispielsweise
Zuweisungen, Ansprüche und Sanktionen oder stehen in kollektiven Zusammenhängen mit anderen.
Eine Deutung die sich subjektorientiert, also rein aus der eigenen Sichtweise, ableitet, fördert eine
individualisierte Weltsicht und verortet auch gesellschaftliche Veränderung und Wirkungsmacht
lediglich in einer individualisierten oder zwischenmenschlichen Form. Um diese Gesellschaft zu
verstehen und letztendlich radikal umändern zu können, müssen wir jedoch die Gesellschaft in ihre
Gänze und vor allem auch in ihrer Objektivität betrachten.
Da davon ausgegangen wird, dass es keine objektive Wirklichkeit gibt, sondern lediglich subjektive
Konstruktionen und Interpretationen bestehen, die im Diskurs den Höhepunkt erreichen, wird die
sprachliche Ebene als das politische Kampffeld ausgemacht, dass es zu verschieben gilt, und nicht
die materielle Grundlage auf deren sich das kapitalistische Patriarchat eigentlich reproduziert.
konkrete Kritikpunkte
Nachdem wir soeben unsere Analyse dargestellt haben, wollen wir auf konkrete Kritik im Nachgang
des 8. März eingehen. Ein Teil der Kritik zielt darauf ab, dass wir nicht zur Sichtbarmachung der
Vielfalt antipatriarchaler Kämpfe beigetragen hätten. Dadurch würden wir Ausschlüsse und Gewalt
reproduzieren. Den Vorwurf, unser Demoaufruf sei gewalttätig, halten wir für so daneben und
problematisch, dass wir nicht weiter darauf eingehen werden. Nur so viel: Durch einen derart
inflationären Gebrauch wird der Gewaltbegriff in einem Maße verwässert, dass reale patriarchale
Gewalt verharmlost wird. Ebenso gehen die impliziten Vorwürfe von Transfeindlichkeit ins Leere,
da von der uns nicht behauptet wurde, dass trans-, inter- und nichtbinäre Personen keine
feministischen Kämpfe führen würden. Solche Unterstellungen finden wir unsolidarisch.
Die Geschichte des 8. März ist eine Geschichte kämpferischer und sozialistischer Arbeiterinnen. An
diese Tradition knüpfen wir an. Dass für uns Frauen im Mittelpunkt dieses Tages stehen und nicht
Non-Binaries oder Interpersonen impliziert keinen Ausschluss dieser Personen aus dem
feministischen Subjekt. Auch diese Gruppen sind von patriarchaler Gewalt betroffen und führen
feministische Kämpfe. Wir sehen jedoch nicht die Notwendigkeit, diese Kämpfe bei jeder
feministischen Aktion „sichtbar zu machen“, sondern vielmehr zeigt sich in der ausschließlichen
Skandalisierung von „Unsichtbarmachung“ ein bürgerliches und formalistisches Politikverständnis.
So finden wir es in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass die Kritik an Redebeitrag und Aufruf
sich lediglich um die verwendeten Begrifflichkeiten dreht. Als wäre die Inkludierung von trans und
nichtbinären feministischen Kämpfen allein durch die Ersetzung des Begriffs „Frau“ durch
„FLINTA“ gegeben. Auch andere Sprech- und Schreibweisen finden wir unpassend. So soll das
häufig gesetzte Sternchen hinter „Frauen“ anzeigen, dass es sich bei Geschlecht eine soziale Konstruktion handelt. Das ist jedoch keine besonders anzeigenswerte Erkenntnis, sondern eine banale Selbstverständlichkeit. Wir schreiben auch nicht „Nation“ oder „Kapitalismus*“, obwohl es
sich hierbei um gesellschaftliche Konstruktionen handelt, die ebenso naturalisiert werden wie
Geschlecht. Wir können hier beobachten, wie Sprachpolitik eine radikale Gesellschaftskritik ersetzt.
Dies halten wir für eine äußerst problematische Entwicklung im Feminismus und der Linken. Mit
dem linguistic turn der 90er Jahre, der richtigerweise auf die herrschaftsreproduzierende Wirkung
von Sprech- und Schreibweisen hingewiesen hat, ging auch eine Entfernung der Kritik von
materiellen Verhältnissen einher.
Richtig wurde angemerkt, dass reale Menschen sich nicht in die patriarchalen Zwangskategorien
einteilen lassen. Die Vergeschlechtlichung des Subjekts führt immer zu Widersprüchen, auf die die
Subjekte unterschiedlich reagieren.
Niemand geht komplett in seiner geschlechtlichen Sozialisierung auf. Die Vorsilbe cis impliziert
jedoch eine bruchlose Identifikation mit der Zwangskategorie.
Wir nehmen die Kritik an, dass eine materialistische Analyse des Geschlechterverhältnisses immer
mit real existierender geschlechtlicher Vielfalt vermittelt werden muss.